Text von Roland Kachler aus: Meine Trauer wird dich finden
—— Einleitung ——
Für den Trauernden fühlt sich die innere Welt leer an, und die äußere Welt ist belanglos oder wertlos geworden. Es gibt für ihn auf dieser Welt keinen Ort, an dem er sich noch aufhalten kann, geschweige denn, dass er sich irgendwo sicher fühlen könnte. Er fühlt sich in seinem Körper, in seiner Wohnung und der Welt fremd und verloren, nirgendwo zugehörig oder heimisch. Für den Trauernden scheint es keinen sicheren Ort zu geben, an dem er sich gehalten fühlt. Dennoch sehnt sich seine Seele nach einem Ort, an dem sie mit ihrer Trauer und ihrem Schmerz sein darf und an dem sie letztlich getröstet wird. Die Sehnsucht ist auch hier wieder das untrügliche Zeichen, dass es in den Schichten der Seele diesen sicheren Ort gibt, auch wenn er jetzt zugeschüttet und verloren ist. Die tiefen, archetypischen Schichten unserer Seele halten solch einen tröstlichen Urgrund, eine bergende Schicht bereit. Sie zeigt sich in Bildern wie dem des bergenden Mutterschoßes oder dem der haltenden Vaterarme.
—— Text zur Übung ——-
Erlaube dir, dich bequem nieder zu lassen.
Ich möchte dich nun zu einer Phantasiereise zu einem sicheren Ort einladen, an dem du dich trotz deines Schmerzes und deiner Trauer für kurze Zeit gehalten fühlen kannst. Den Schmerz, die Verzweiflung und die Ohnmacht, die du jetzt spürst, darfst du auf die Reise mitnehmen, weil all das zurzeit ganz zu dir gehört.
Auch die Sehnsucht, dass dein Schmerz aufhören möge, dass alles gut sein möge, auch diese Sehnsucht ist jetzt da. Wenn du Kontakt mit ihr aufnimmst und sie spürst, wird sie dich an einen Ort führen, an dem du so sein darfst, wie du dich jetzt mit deiner Trauer fühlst.
Es mag ein Ort sein aus deiner Vergangenheit, ein Ort, an den du schon immer mal reisen wolltest oder ein Traumort, den du jetzt für dich vor deinem inneren Augen malen kannst.
Es mag eine weite Landschaft sein, ein Hochplateau, ein Berg, ein Ort an einem Fluss oder einer Quelle oder unter einem Baum; es kann aber auch ein ruhiges Zimmer, eine Kirche oder eine Burg sein. Es mag das Versteck aus deinen Kindertagen, dein Kinderzimmer von damals, der große Sessel bei deinen Großeltern oder das Plätzchen sein, an dem du dich als Kind sicher und geborgen fühlen konntest. Nehme den Ort, der sich vor deinem inneren Auge einstellt, einen Ort an dem du dich sicher und gehalten fühlst.
Lasse dich dort nieder, schau dich um, nehme den Geruch wahr, der zu diesem Ort gehört, spüre die angenehme heilsame Wärme oder den Schmerz lindernden kühlen Luftzug, nehme wahr, wie sicher du dort sitzt oder liegst. Spüre, wie du dabei gehalten wirst. Du bist dort so sicher und ganz für dich, dass du dich deiner Gefühle nicht zu schämen brauchst, du kannst deine Gefühle von Schmerz und Trauer zeigen und zulassen. Du bist dir zunehmend sicher, dass dir das gut tun wird. Du darfst an diesem Ort weinen, wenn dir danach zu Mute ist, du darfst dort deinen Schmerz herausschreien oder auch still deine Trauer empfinden.
Während du das geschehen lässt und dabei an diesem sicheren Ort gehalten bist, spürst du vielleicht wie dein Schmerz sich verändert, vielleicht wird er weicher, fließender, vielleicht ein wenig leichter; vielleicht wir dein Schmerz klarer, umgrenzter und besser zu ertragen.
Während du deine Trauer auf diese veränderte Art und Weise wahrnimmst, entdeckst du, dass daneben das Gefühl der Liebe zu deinem geliebten Menschen stärker hervortritt. Sich diese Liebe in dir mehr und mehr ausbreitet, dich mehr und mehr ausfüllt. Und während die Liebe zu deinem geliebten Menschen stärker wird, fühlst du dich zunehmend sicher. Du fühlst dich in dieser Liebe getröstet, weil du ahnst oder schon weißt, dass dir in deiner Liebe dein geliebter Mensch in einer besonderen Weise nah sein wird oder schon nah ist. Lasse diese Erfahrung auf dich wirken und werde dabei noch einmal ein kleines Stück getröstet und gehalten. Du nimmst diese Erfahrung nun in dich auf, weil du weißt, dass du nun diesen sicheren Ort verlassen musst. Du tust das mit der Gewissheit, dass du an diesen Ort wieder zurück kehren kannst.
Komme nun langsam von diesem sicheren inneren Ort wieder zurück in die äußere Realität.
—— Audio zur Übung ——–